Lieblingskinderbücher Nr. 2 – “Gute Nacht, Gorilla” von Peggy Rathmann oder: Über geschriebene und gesprochene Worte
Ich bin in der letzten Woche darauf angesprochen worden, weshalb Landtiere nicht als Bilderbuch ohne Texte erscheinen soll. Es seien doch so schöne und ausdrucksstarke Bilder, die für sich stehen können und es gäbe ohnehin viel zu wenige schöne Bilderbücher, die ohne Texte auskommen. Das hat mich nachdenklich gestimmt, denn natürlich stimme ich in Bezug auf die Kraft der Bilder von Susanne Haun vollkommen zu. Es ist ja auch letztendlich der Kern des Eichhörnchenverlags, mit Bildern zu arbeiten, die keine Texte brauchen, um sich voll zu entfalten. Es wäre auch ach so einfach, denn während die Bilder lange fertig sind, gestaltet sich die Suche nach den richtigen Texten für dieses Buch komplizierter und bestimmt könnten ein oder zwei Bilder mehr in das Buch Eingang finden, wenn wir die Texte wegließen.
Aber: Die geschriebenen und (vor-)gelesenen Worte haben eben auch Möglichkeiten und Qualitäten, die ganz andere sind, als jene der Bilder und doch gleichermaßen wertvoll. In Bezug auf Bilderbücher für Babys und Kleinkinder gehören dazu ganz entschieden klangliche Aspekte. Das Spiel mit Reimen, Rhythmus und Sprachmelodie ist verlässlich und aufregend gleichermaßen. Das Ausloten von sinnstiftenden Nuancen und Variationen mittels der Stimmmodulation macht Spaß und die immer wiederkehrenden Worte können anregen auf den narrativen Höhepunkt hinzufiebern, Spannung und Erwartung aufzubauen und im mitsprechen, mitsingen, mitjuchzen gleich wieder heraus zu sprudeln. Auch so entsteht Kommunikation, an der alle teilhaben können.
Bilderbücher, die ohne Texte auskommen, verlangen oft ein größeres Engagement von Erwachsenen, weil die Bilder eben nicht stumm sind, sondern erzählt werden wollen. Manchmal scheint es, zum Beispiel am Abend, wenn alle schon müde sind und es um die Wahl der Gute-Nacht-Geschichte geht einfacher, ein Buch zu wählen, das einem einen Text mit einem absehbaren Ende zum ”aufsagen” und ”abhandeln” vorgibt. Auch dieser Gedanke darf sein. Die persönliche Erfahrung sagt mir allerdings, dass es so oder so eine Frage der Überwindung des ”toten Punkts” ist. Nach den ersten zwei Seiten schwingt die Geschichte im textlosen Bilderbuch wieder munter ihren Lauf und der auswendig gekannte und aufgesagte Text in dem anderen Buch hat so viel gedanklichen Raum gelassen, dass etwas Neues im Bild entdeckt wurde, dass ein einzelnes Wort in eine neue Betonung gekleidet und zum Spielball wurde etc…
Beide Bilderbuchformen haben ihre besonderen Stärken und Reize – ebenso wie die ausschließlich oral tradierte Erzählung, die überhaupt kein Buch braucht übrigens.
Nach diesem langen Aufsatz soll euch nun Lieblingskinderbuch Nr. 2 nicht länger vorenthalten werden. „Gute Nacht, Gorilla“ von Peggy Rathmann ist 1994 in den USA und 2006 im Moritz Verlag in Deutschland erschienen und kommt mit ganz wenig Text aus, der im Grunde auch noch optional ist. Die Bilder im Buch haben mich stilistisch eigentlich nicht überzeugt, dafür aber sind sie voller kleiner Details, Nebenschauplätzen und Referenzen, die man nach und nach entdecken kann und die die Geschichte kontinuierlich und auf verschiedenen Ebenen lebendig und im Wandel halten. Auch sind die Figuren allesamt liebenswert und laden ein, sich in sie hineinzufühlen – besonders natürlich der kleine Gorilla.
Hier findet ihr eine ausführlichere Rezension des Buches.
Wie sind eure Erfahrungen mit textlosen Bilderbüchern, euer Umgang mit den Worten in Bilderbüchern und eure Bedürfnisse diesbezüglich? Schreibt uns eure Gedanken gern in die Kommentare, oder – wem das zu öffentlich ist – eine Mail. Es würde uns wirklich interessieren!
Ganz bestimmt wird es übrigens Bilderbücher ohne Texte im Eichhörnchenverlag geben. Das ist eigentlich nur eine Frage der Zeit.
Beitragsautorin: Nina A. Schuchardt
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