Im Gleichklang – Ein Gastbeitrag von Cerstin Willing

Im Gleichklang – Ein Gastbeitrag von Cerstin Willing

Es ist Herbst in Brandenburg. Eine Jahreszeit mit einer besonderen Stimmung. Liegt es an den gefallenen Blättern, daran, dass viele Tiere unterwegs sind, an der Kälte und Feuchtigkeit in der Luft?

Ich weiß es nicht.

Ich weiß aber, dass es passieren kann, gerade im Herbst, dass wir ganz besondere Begegnungen erleben, wenn wir uns in den Wald aufmachen.

So ist es auch Cerstin ergangen. Cerstin ist eine Freundin des Eichhörnchenverlags. Wir haben uns beim Türöffner-Tag in der Papierfabrik kennengelernt und sie hat uns einfach so ihre Unterstützung angeboten, die wir gern angenommen haben.

Hier teilt sie nun einen ganz besonderen Moment, den sie im Wald hinter ihrem Haus erleben durfte, mit uns und dafür – für diesen schönen Anlass zum Innehalten – dir, liebe Cerstin, vielen herzlich empfundenen Dank!

 

Im Gleichklang

von Cerstin Willing

Wachsame Augen blicken in die aufsteigende Dämmerung.
Ungezählte Nasen atmen feuchten Wiesenduft.
Rotbraunes Fell durchbricht das Dickicht.
Sprungbereite Hufe stampfen kraftvolle Körper.

Unsichtbar, fast magisch dirigiert der mächtige Leithirsch
sein Rudel.
Im Urvertrauen der Natur bewegen sich Tiere
im Takt und Rhythmus ihrer Einheit.
Dicht gedrängt wiegen sie geräuschlos
zurück in die einbrechende Nacht.

Staunende Augen blicken auf das selten Erlebte.
Angespanntheit atmet tiefe Ruhe aus.
Wohlige Schauer durchbrechen das gelöste Herz.
Aufgehoben im Gleichklang der Natur schleiche ich nach Haus.

Diesen Sonntag ist Muttertag. Ein Feiertag, der mit gemischten Gefühlen betrachtet werden kann, weil es einerseits wunderbar und wohl auch wichtig ist, den Menschen, die uns nahe stehen – darunter unseren Müttern – zu sagen, wie sehr wir sie lieben und schätzen, andererseits ist es ein Tag, der ähnlich dem Valentinstag mit Blick auf maximale Gewinnabschöpfung von manchen Industrien und Handelszweigen arg gehyped wird. Auch werden manche Kinder anlässlich dieses Tages mitunter eigenartigen Anforderungen ausgesetzt, wenn sie ihre Liebe zu ihrer Mama plötzlich termingerecht mit einer vorgegebenen Bastelaktion ausdrücken sollen, die ihnen vielleicht gar nicht liegt…

Ihr seht schon, ich fände Kritikpunkte und die Wurzeln mancher dieser Kritikpunkte können in der Geschichte des Feiertages gesucht werden.

Die Kulturhistorikerin Katharina Schulze hat sich im Zuge ihrer Masterarbeit mit dem Titel „Die „Neue Frau“? Frauenbilder in der Zeitschrift Reigen. Magazin für galante Kunst“ mit dem Wandel von Frauenbildern in den 1920er Jahren beschäftigt und ist dabei u. a. darauf gestoßen, dass gerade im Jahr 1923 der Muttertag als Feiertag in Deutschland eingeführt wurde. Den Abschnitt ihrer Arbeit, der sich mit diesem Umstand befasst, hat sie mir hier freundlich gestattet zu veröffentlichen. Ich danke ihr für diesen spannenden Einblick in die Geschichte unserer Frauen- und Mutterbilder und besonders für ihre historisch-kritische Einordnung derselben!

Viel Spaß beim Lesen und Nachdenken!

 

 

Die Einführung des Muttertags in den Goldenen Zwanzigern. Ein Wiederspruch?

von Katharina Schulze

 

Die Weimarer Republik ist eng verknüpft mit dem Bild der Neuen Frau, modern, aktiv, unabhängig.

Die Entwicklung dieses Bildes nahm zwar bereits in den Jahrzehnten des Deutschen Kaiserreichs ihren Anfang, erhielt aber durch die gesellschaftlichen Veränderungen und die Aufbruchsstimmung nach dem Krieg enormen Aufwind. Nun bot sich Raum zur Verhandlung neuer Frauenbilder.

Gleichzeitig wurden Stimmen laut, die genau diese Entwicklungen sehr kritisch beäugten und ihrerseits ein anderes Frauenbild im Kopf hatten. Dieses war eng verknüpft mit der Rolle der Frau als Mutter und damit zugeschriebenen Eigenschaften von Frauen, die deren ganzen Alltag durchzogen.

Wohlfahrtsmarke „Mutter mit Kind“. Design: Bert Jäger. Offsetdruck. Erstausgabetag: 1. Oktober 1956.

Ein prägnantes Beispiel ist der auch heute vielmals zelebrierte Muttertag, der 1923 ausgerechnet in den Wilden Zwanzigern eingeführt wurde. An diesem Tag sollte die Familie der Mutter danken, die still und unermüdlich ihre Arbeiten verrichtet und immer bereit ist, die Bedürfnisse der Familienmitglieder zu befriedigen. Es wurde versucht, Frauen die Kinder hatten, eine Würdigung zu schaffen und sie für ihre Arbeit und Leistung anzuerkennen.

Obwohl auf den ersten Blick ein Ehrentag, wurde so eigentlich die Ausbeutung der Frauen legitimiert, die sie nach diesem einen Tag im Jahr wieder erwarten würde. Obschon ihre Arbeit als wichtig präsentiert wurde, wurde nie erwogen sie dafür zu entlohnen. Zudem wurde politisch ein Zeichen gesetzt, dass einem traditionellen Frauenbild Tribut zollte und eine Rückbesinnung im Gegensatz zu diversen Entwicklungen im Geschlechterverhältnis und Familienleben forderte. Zu diesen Entwicklungen zählten neben neuen Frauenbildern auch ein Aufbrechen der bisherigen Vaterrolle, neue Eheansätze, Berufstätigkeit von Frauen und Sexualaufklärung. Zudem wurden gerade aus linken Kreisen immer wieder gefordert die Kinderzahl in der Arbeiterschaft zu reduzieren, um das Elend des Proletariats zu lindern.

Im Gegensatz dazu stand die Angst konservativer Kräfte vor tatsächlich sinkenden Geburtenraten; ein Trend, der bereits im 19. Jahrhundert bei Teilen der deutschen Bevölkerung zu beobachten war. Die vermeintliche Schuld wurde oben genannten Tendenzen gegeben. Besonders ins Blickfeld der Kritik geriet die ledige Frau, gehäuft auftretend in den Großstädten, die sich nicht in der Rolle der Ehefrau und Mutter auslebte und auf die oft gleich mehrere der neuen Entwicklungen zutrafen.

Auch rechtlich waren Frauen, und damit auch die vielen Mütter unter ihnen, in vielen Bereichen schlechter gestellt. Trotz vieler Neuerungen wie dem Wahlrecht spielte gerade im Familienleben die weibliche Natur und deren Unterordnung durch den Mann weiterhin eine große Rolle. So wurde durch den Artikel 109.2 des BGB die Abhängigkeit der Frau im Ehe– und Familienrecht festgeschrieben. Die politische Gleichberechtigung meinte also nicht Gleichheit, sondern gleiche Wichtigkeit für den Staat und dieser Dienst für den Staat wurde bei Frauen weiterhin vor allem über Mutterschaft definiert.

Im Nazionalsozialismus wurde die Festschreibung Frau gleich Mutter extrem vorangetrieben und auch dem Muttertag kam neben anderen Auszeichnungen für (Vielfach-) Mütter eine gesteigerte Bedeutung zu.

 

Literatur:
Cantó, Patricia Gozalbez: Fotografische Inszenierung von Weiblichkeit. Massenmediale und künstlerische Frauenbilder der 1920er und 1930er Jahre in Deutschland und Spanien, transcript Verlag, Bielefeld 2012.
Reinert, Kirsten: Frauen- und Sexualreform 1897-1933.,Centaurus Verlag, Herbolzheim 2000.

Schlingmann, Sabine: „Die Woche“- Illustrierte im Zeichen emanzipatorischen Aufbruchs. Frauenbild, Kultur- und Rollenmuster in Kaiserzeit, Republik und Diktatur (1899 bis 1944)., Verlag Dr. Kovac (Gender Studies. Interdisziplinäre Schriftenreihe zur Geschlechterforschung, 7), Hamburg 2007.

Soden, von Kristine: Die Sexualberatungsstellen der Weimarer Republik 1919-1933.
Edition Hentrich (Stätten der Geschichte Berlins, 18), Berlin 1988.

Stölken, Ilona: „Komm, laß uns den Geburtenrückgang pflegen!”. Die neue Sexualmoral in der Weimarer Republik., In: Bagel-Bohlan, Anja; Salewski, Michael (Hrsg.): Sexualmoral und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert., Leske und Budrich, Opladen 1990, S. 83-107.

Usborne, Cornelie: Frauenkörper – Volkskörper. Geburtenkontrolle und Bevölkerungspolitik in der Weimarer Republik., Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 1994.

Als Praktikantin im Eichhörnchenverlag hat Katharina Schulze derzeit Einblick in all unsere laufenden und in Planung befindlichen Projekte und Aufgaben. Dabei ist sie – ohne das hier zu viel verraten werden soll! – auch auf Monster gestoßen und hat sie zum Anlass genommen, folgenden hochspannenden Text zu schreiben. Viel Spaß!

von Katharina Schulze

Monster haben Hochkonjunktur, sowohl in der Literatur für Erwachsene als auch in der Jugend- und Kinderliteratur. Bereits in älteren Klassikern wie „Peter Pan“ oder „Alice im Wunderland“ begegnen uns allerhand zauberhafte Gestalten.

Ungefähr seit den 1960-er Jahren haben sich Monsterdarstellungen gewandelt und Einzug in die Kinderliteratur gehalten. Sie sind nicht mehr alleinig Platzhalter für Ängste, sondern agieren als freundliche Gestalten, die gar nicht so monströs sind. Was aber ist eigentlich ein Monster und wieso sind Monster und andere Phantasiegestalten in der Kinderliteratur so wichtig?

Die Definition eines Monsters ist nicht leicht und unterliegt stets einem gesellschaftlichen und historischen Wandel. Es stellt eine Abweichung der Norm dar und ist damit je nach gesellschaftlicher oder sozialer Gruppe unterschiedlich und verhandelbar. Was als Monster gekennzeichnet ist, macht somit auch immer deutlich, was als normal angesehen wird. Dass Monster gruselig sein müssen ist keine feststehende Größe. Im Mittelalter waren Monster durch ihre Andersartigkeit definiert, nicht dadurch, dass sie gruselig oder gefährlich waren. Auch wie ein Monster wahrgenommen und bewertet wird, hat sich immer wieder verändert und ist so vielfältig wie seine Erscheinungsformen. Es kann als Verbund mit dem Teufel, von Gott berührt, oder als Zeichenbringer gedeutet werden. Gerade außerhalb Europas wurden Monster als Mischwesen auch als besonders eng verbunden mit der anderen Welt angesehen. In der Literatur des  19. und 20. Jahrhunderts können Gestalten wie „Frankensteins Monster“ Kritik am menschlichen Größenwahn symbolisieren.

Auch in Kinderbüchern wird erforscht, was ein Monster ausmacht und wie es aussieht. Das Buch „Prima, Monster!“ geht zum Beispiel dieser Frage nach. Eben weil ihre Erscheinung so wenig festgelegt ist und viel Raum für Gestaltung lässt, eignen sich Monster optimal für Darstellungen in Kinderbüchern. Durch die Vielfalt der Formen und Farben sind sie bereits für die Kleinsten gut erfahrbar.

Wie bei Horrorfilmen ist die leichte Angst beim Lesen und Betrachten eines Buches über Monster Teil des Spaßes. Hier wird auch von thrill oder Angstlust gesprochen. Egal ob das Monster nun tatsächlich böse ist oder nicht, der Angst wird auf den Grund gegangen, ihr begegnet und ein Weg gefunden mit ihr umzugehen oder sie zu besiegen. Reale Ängste werden wahrgenommen. Sie existieren, müssen einen aber nicht hindern, sondern können einen weiterbringen. Auch werden diffuse Ängste durch den Körper des Monsters sichtbar, bekommen eine Begrenzung und sind so leichter zu betrachten. Ebenso kann es sein, dass man hinter die Fassade seiner Angst blickt, diese hinterfragt und dabei feststellt, dass das vermeintliche Monster gar keines ist. In „Der Raggeahase Boooo und die rosa Monsterkrabbe“ haben alle Tiere im Wald Angst vor der rosa Monsterkrabbe, die auf dem Weg in ihren Wald ist, ohne sie zu kennen. Reggaehase Boooo macht sich also auf den Weg, um die Krabbe kennenzulernen und stellt fest, dass diese überhaupt nicht böse und gefährlich ist.

Auswahl „Monsterbücher“ aus der Verlagsbibliothek. Zeichnung „Faunus“ (c) von Maike Schuchardt.

Eine weitere wichtige Rolle von Monstern in der Literatur ist, dass sie eine andere Welt, ein anderes Aussehen, eine andere Realität bieten und somit Ausdruck von Sehnsüchten sind und die Phantasie unterstützen. Unliebsame Regeln und Erfahrungen wie ins Bett gehen, waschen, über den Kopf entscheiden gelten für Monster nicht. Sie erscheinen oft wild und unbeherrscht, wobei die Gradwanderung zwischen Wildheit und Gefahr einen Teil der Spannung ausmacht. In vielen Geschichten finden sich durchaus bekannte Anknüpfungspunkte an die Lebensrealität von Kindern. Sie sind dann aber in der Welt der Monster umgekehrt und weisen andere Details auf. In „Die Schule der kleinen Vampire“ gehen die Vampirkinder jeden Tag in die Schule, um zu richtigen Blutsaugern zu werden. Allerdings startet die Schule erst im Alter von 60 bis 70 Jahren. Und obwohl es in „Die kleine Hexe feiert Weihnachten“ ein ziemlich traditionelles Fest mit Keksen und Weihnachtsbaum gibt, sind die Gäste doch anders als gewöhnlich. Sie kommen nämlich in Form von Geier-, Bärenhexe und gar Weihnachtshexe daher. Geschichten, in denen sich die Kinder selbst in Monster verwandeln, gehen noch einen Schritt weiter, denn hier erleben die Kinder die Abenteuer nicht als Zuschauer, Gäste oder in der Konfrontation mit dem Monster, sondern durchleben sie selbst. Ein klassisches Beispiel für solch eine Verwandlung ist „Wo die wilden Kerle wohnen“.

Durch das Aufzeigen anderer Realitäten stellen die Monster und ihre Lebensorte zudem auch bestehende Systeme in Frage. Regeln und Machtverhältnisse können völlig verändert oder umgekehrt erscheinen und machen so deutlich, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt.

Liste der erwähnten Bücher:

Barrie, James Matthew: Peter und Wendy, Illustratorin: Attwell, Mabel Lucie 1911, 1921.

Carroll, Lewis: Alice im Wunderland, Illustrator: Tenniel, John, 1865.

Shelley, Mary: Frankenstein, 1818 erstmals anonym.

Heitz, Markus: Prima, Monster!, Illustratorin: Tourlonias, Joelle, Baumhaus Verlag 2012.

Strohschneider, Jens: Der Reggaehase Boooo und die rosa Monsterkrabbe, Illustrator: Rusinek, Lukasz, Verlag Volandt und Quist 2013.

Niebisch, Jackie: Die Schule der kleinen Vampire. Die Prüfung, Ravensburger Buchverlag 1998.

Baeten, Lieve: Die kleine Hexe feiert Weihnachten, Illustratorin: Baeten, Lieve, Oetinger Verlag 1996.

Sendak, Maurice: Wo die wilden Kerle wohnen, Illustrator: Sendak, Maurice, Harper and Row 1963.

Sekundärliteratur:

Tollkötter, Anna: „Kinder brauchen Monster“. Lustvolles Gruseln im Bilderbuch, 2012. Online im Internet: URL: http://www.deutschlandfunk.de/kinder-brauchen-monster.1202.de.html?dram:article_id=228152

Hoydis, Julia: Horror- und Gruselliteratur: Unheimlicher Nervenkitzel. Online im Internet: URL: http://www.boysandbooks.de/fileadmin/templates/images/PDF/Erzaehlmuster_Horror_und_Gruselliteratur.pdf

Dettmar, Ute: Angst: Lust und Schrecken in der Kinder- und Jugendliteratur. Online im Internet: URL: http://www.kids-media.uzh.ch/dam/jcr:00000000-7a61-1c98-ffff-ffffa6e183a9/dettmardefinitiv.pdf