Das Logo und das Eichhörnchen – Teil II. Von blinden und sehenden Eichhörnchen…
Warum also ist das Eichhörnchen im Logo des Eichhörnchenverlags blind? Warum trägt es eine Augenbinde?
Ich versprach euch im Beitrag vom 31. März, diese Frage zu einem späteren Zeitpunkt zu beantworten.
Wie das so ist mit Vorbildern und Modellen, auch sie sind nicht makellos und glatt gebügelt – Gott sei Dank, denn so bleiben sie Individuen! – und so könnte hier nun ein blindes Eichhörnchen Modell gestanden haben…
Es steckt aber noch etwas mehr dahinter. Eine geschätzte Kunsthistorikerin und liebe Freundin gab noch vor der (offiziellen) Gründung des Verlags den Rat, die Blindheit des Eichhörnchens unbedingt auch im Logo abzubilden. Recht hatte sie, denn in der Verbindung mit einem BILDERbuchverlag wird das Attribut Augenbinde und die dadurch symbolisierte Blindheit zu einer Betonung des Sehens selbst. Die Vorstellung vom Verzicht auf die visuelle Wahrnehmung soll den Betrachter anregen, über die Bedeutung des Sehens und sensueller Erfahrung im Allgemeinen zu reflektieren.
Die Augenbinde als solche ist ein Objekt, dass vielfältig bei verschiedenen Spielen zum Einsatz kommt. Zum Beispiel bei unterschiedlichen Varianten des Blinde-Kuh-Spiels oder beim Topfschlagen. Sie steht uns daher stellvertretend für kindliches Spiel und Entdeckerlust.
Überhaupt ist die Augenbinde auch (bild-)geschichtlich betrachtet ein starkes und durchaus positiv besetztes Symbol. Man denke zum Beispiel an Darstellungen der Justitia. Ihre Augenbinde soll ihre vorurteilsfreie, ohne Ansehen der Person geschehende Rechtsprechung anzeigen. Eine vorurteilsfreie Begegnung also, die auch jedem Kind zu wünschen ist.
Zu guter Letzt ist der Akt der Abnahme einer Augenbinde auch ein Akt der Befreiung, Bestandteil eines Prozesses des Entdeckens, Erkennens und Erkenntnisgewinns. Unsere Bücher sollen Kindern und Erwachsenen helfen, sich Räume zu schaffen, in welchen sie achtsam und liebevoll Zeit miteinander verbringen können, in welchen sie in den Bildern und Geschichten gemeinsam abtauchen oder über sie in Kommunikation kommen können. All das hilft uns letztendlich, sehenden Auges und zugewandt in das Leben und durch das Leben zu gehen.
Für die symbolische und zeremonielle Kraft des Abnehmens einer Augenbinde oder eines anderen sichtraubenden Stoffes finden sich übrigens auch Beispiele in Kunst und Geschichte.
Am südlichen Eingang zum Park Sanssouci in Potsdam etwa sitzen zwei Sphingen mit auf ihnen spielenden Putti. Links (bzw. bei der westlichen Figurengruppe) trägt einer der Putti noch einen Schleier über dem Gesicht, der ihm rechts (bzw. bei der östlichen Figurengruppe) abgenommen wurde. Die Sphinx greift ihm in das Haar und dreht seinen Kopf (dem Licht entgegen?). Auch ihr Gesicht wird von dem zweiten Putto in die gleiche Richtung geführt. Die beiden von Georg Franz Ebenhech in der 1. Hälfte des 18. Jhdts. geschaffenen Skulpturen sind eigentlich als Narration in zeitlicher Abfolge zu lesen. Betrachtet man sie also nacheinander – zuerst die linke und dann die rechte – wird deutlich, dass es sich hier ebenfalls um die Darstellung eines Erkennens- und Erkenntnisprozesses handelt, auch wenn dieser gewaltsam herbeigeführt wird. Das kindliche Spiel der Putti wird hier als blind und unbedarft dargestellt und durch Zwang unterbrochen. Wir werden daran erinnert, dass Erkennen manchmal auch ein schmerzhafter Weg ist und Erkenntnis ein verletzendes Ziel sein kann. Adrian von Buttlar und Marcus Köhler, die sich einer zusammenhängenden ikonologischen Deutung des Parks Sanssouci angenommen haben, interpretieren die Skulpturen als Darstellung eines freimaurerischen Initiationsritus.
Auch wenn die starke Fokussierung der Interpretation Buttlars und Köhlers auf Freimaurersymbolik im Park Sanssouci mitunter hinterfragt werden kann, sei ihre Publikation „Tod, Glück und Ruhm in Sanssouci. Ein Führer durch die Gartenwelt Friedrichs des Großen“ an dieser Stelle zur Lektüre und besonders als Begleiter bei einem sommerlichen Besuch im schönen Park Sanssouci in Potsdam empfohlen. Es lässt sich einiges entdecken!
Buttler, Adrian von; Köhler, Marcus: Tod, Glück und Ruhm in Sanssouci. Ein Führer durch die Gartenwelt Friedrichs des Großen. Ostfildern 2012.
(Zu den Sphingen: ebd., Seite 17 und folgende.)
erschienen im Hatje Cantz Verlag
Hier noch ein Link zu einer Pressemitteilung der SPSG und einer anderen Interpretation der beiden Sphingen als Darstellungen von Tag und Nacht.
Liebe Nina, ich mag am liebsten den Vergleich zum Topfschlagen und Blindekuhspielen, weil er zum Kinderbuch und der Entdeckerlust generell passt. Die Freimaurersymbolik ist interessant aber für mich zu intellektuell für ein Baby- bzw. Kinderbuch 🙂
Einen schönen Sonntag sendet dir Susanne
Liebe Susanne, vielen Dank für deinen Kommentar! 🙂 Es ist auch ein kleiner Aha-Moment zu sehen, wie viele Kinderspiele mit Sehen und Nicht-Sehen experimentieren… auch die bei Babys und KLeinkindern beliebten Guck-Guck und Wo-bin-ich-Spiele hätte man nennen können…
Freimaurer und Freimaurersymbolik haben in unseren Büchern natürlich nichts verloren, das stimmt. Der Blog allerdings wird ja von Erwachsenen gelesen und die beiden Sphingen in Sanssouci sind in meinen Augen ganz großes Kino in Stein. Das musste ich doch einfach mit euch teilen 😉
Herzliche Grüße sendet dir
Nina
Da hast du recht, Nina 🙂