Kunstwerdung – Zur Maltechnik Jesko Donsts in KLEINE VOGEL-WUNDERKAMMER
Auf Instagram bat Wenke Bönisch von der Kinderbibliothek: Schreibt mal bitte zur Maltechnik des Buches.
Dieser Aufforderung komme ich hiermit gerne nach!
Die Bilder im Bilderbuch KLEINE VOGEL-WUNDERKAMMER stammen von Jesko Donst, der sich von 1983 bis 1990 in Meißen und Berlin zum Porzellanmaler ausbilden ließ und diese Ausbildung mit Auszeichnung abschloss. Seither hat er seine Kunst in verschiedensten Medien vorgeführt. Er ist Porzellanmaler und Illustrator, Gestalter von Tapeten, Stoffen und Papeterieartikeln und Maler von Aquarell- und Acrylgemälden.
Die im Bilderbuch KLEINE VOGEL-WUNDERKAMMER reproduzierten Bilder haben im Original ein Format von 24 x 48 cm, was in etwa dem Format des aufgeklappten Buches entspricht. Tatsächlich sind die Bilder im Buch etwas kleiner, denn wir haben uns kurz vor Abschluss des Projektes noch entschieden, die Bilder mit einem farbigen Rand zu umgeben, um Beschnittverluste an den Bildern in der Druckerei zu vermeiden.
Es handelt sich bei den fraglichen Bildern um Acrylgemälde. Die Bildträger sind Spanplatten von ca. 5 mm. Diese im Baumarkt erhältlichen Platten haben den Vorteil einer industriell geglätteten Oberfläche, bei relativ geringer Bewegung. Das heißt, sie verformen sich weniger als beispielsweise eine Massivholzplatte sind aber trotzdem ein Holzwerkstoff.
Seine Farben mischt sich der Künstler selbst. Dabei verwendet er keine synthetischen, aber ausschließlich anorganische Pigmente, vor allem Oxide. Dieses Vorgehen mag einen Grund in der Gewohnheit der Porzellanmalerei haben, denn beim Brand von Porzellan würde jedes organische Pigment einfach verbrennen. Anorganische Pigmente haben aber auch sonst die Eigenschaft im Vergleich zu organischen Pigmenten alterungsbeständig zu sein.
Als Bindemittel dienen bei Acrylfarben grundsätzlich Kunstharze in Verbindung mit Lösungsmitteln z. B. Wasseranteilen. Nach Verdunstung des Wassers bleiben die Kunstharze und Pigmente als feste und dann wasserunlösliche Farbschicht zurück. Im Vergleich zu anderen Farben sind Acrylfarben aber auch nach der Trocknung noch relativ flexibel. Die Erfahrung – zum Beispiel mit einer wunderbaren und sehr großformatigen in Acryl bemalten Leinwand von Susanne Haun, die ich einmal in einer Ausstellung zeigen durfte – zeigt dennoch, dass auch die Flexibilität von Acrylfarben nicht unbegrenzt ist. Auch sie bekommen mit zunehmenden Alter und abhängig von der mechanischen Beanspruchung Risse. Es würde mich persönlich sehr interessieren zu sehen, wie sich die Oberflächen der Bilder Jesko Donsts in 100 oder 200 Jahren präsentieren und vor welche Aufgaben sie mögliche Restauratoren wohl stellen mögen.
Seine Malträger (also die Holzplatte) grundiert Jesko Donst zuerst in den Grundfarben des Bildes. Dabei werden auch erste räumliche Parameter definiert. Beim Titelbild unseres Bilderbuchs („Schleiereulen“ oder „Tageslauf“) und auch auf Seite 5/6 („Stieglitze“ oder „Sommer“) werden mithilfe diffuser Farbverläufe von Himmelblau zu Hellgrün Horizontlinien angedeutet.
Auf Seite 7/8 („Eichelhäher und Eichhörnchen“ oder „Herbst“) wurde mit einer klaren Trennung von Hellbraun/Grau oben und einem satten Braun unten eine deutlich begrenze Fläche als Träger oder Bühne des Stilllebens definiert.
Schicht für Schicht wird das Motiv nun aufgebaut und verfeinert. Nach der groben Anlage des Hintergrundes werden die verschiedenen Objekte im Bild mittels Flächen in ihren jeweiligen Grundfarben festgelegt. Jede weitere Farbschicht wird nun kleinteiliger, wird genauer und detailreicher. An einem der Eichelhäher von Seite 8 im Bilderbuch ist dieses Vorgehen gut dokumentiert und nachvollziehbar.
Auf den komplexesten Stellen im Bild summieren sich mit dieser Technik 15 bis 20 teils transparente Farbschichten. Sie formen den Detailreichtum, den wir als lebensechte Darstellung wahrnehmen und sind gleichermaßen für die Lichtmodellierung nötig, ohne welche das Bild trotz aller Details starr bleiben würde.
Bildelemente, welche dem Künstler besondere Konzentration und Anstrengung abverlangten, waren übrigens die Augen der Stieglitze (Seite 5/6 im Bilderbuch). So wie wir Wimpern tragen, tragen nämlich auch diese kleinen Vögel winzige Federn auf den Lidern. Diese Federn mit dem Pinsel nachzuempfinden und korrekt zu platzieren, kann keine leichte Aufgabe gewesen sein.
Interessant ist außerdem, dass der Künstler nicht immer das ganze Bild bearbeitet, sondern sich vielmehr ein Teilmotiv nach dem anderen vornimmt. Dies führt dazu, dass manche Aspekte eines Bildes bereits fast vollständig ausgearbeitet sein können, während andere noch in der ersten groben Anlage verbleiben. Auf die Frage hin, nach welchen Kriterien er die Motivteile in der Ausarbeitung anordnet, antwortet Jesko Donst: Das wovor er am meisten Respekt hat, wird zuerst bearbeitet. Bei dem Bild „Eichelhäher und Eichhörnchen“ gehörte zu diesen besonders respekteinflößenden Bildteilen also offenbar das Eichhörnchen und beim Umschlagbild „Schleiereulen“ das hochkomplexe Gefieder der Schleiereule. Ich finde, hierin zeigt sich ein gutes Stück Arbeitsmoral, kenne ich doch auch von mir selbst den Reflex, die angsteinflößenden Aufgaben etwas herauszuzögern.
Für die Fertigstellung eines einzigen Bildes von der Art, wie sie in unserem Bilderbuch zu finden sind, benötigt der Künstler 3 bis 4 Monate. Diese lange Fertigungszeit ergibt sich aus den Trocknungszeiten, die die einzelnen Farbschichten benötigen und vor allem aus dem mentalen und physischen Kraftakt, den der Künstler selbst erbringt. Um derart kleinteilig und akkurat zu arbeiten, ist ein großes Maß an Konzentration erforderlich, welches immer nur für eine begrenzte Zeitspanne aufrechterhalten werden kann. Auch kennt jeder Körper Ermüdungserscheinungen. Im Falle solcher Malerei betrifft das zum Beispiel Ermüdungen des Auges, welches winzige Details vermessen und beurteilen muss oder Ermüdungen des Bewegungsapparats, insbesondere der Hand, die kleinste Bewegungen präzise setzen muss. Ich ziehe meinen Hut vor dieser Leistung!
Zu guter Letzt ist es immer wieder nötig, dass Bild einmal beiseite zu stellen, um es später mit einem frischen Blick und unverstelltem Geist von Neuem zu betrachten. Danach erst können die letzten Feinschliffe ausgeführt werden. Manchmal führen solche Arbeitspausen auch mitten im Prozess zu Veränderungen und Verfeinerungen im Motiv, wenn sich mit der Modulation der Farbe zeigt, dass ein Teilaspekt sich nicht in gewünschter Weise einfügt. Gut zu sehen ist dies an den Beispielen der Bachstelzen im Umschlagbild „Schleiereulen“ oder der im Schnee verschwundenen Hasen von Seite 1/2 („Fasane“ oder „Winter“).
Es ist wunderbar, dass wir all diese Aspekte der Kunstwerdung für die KLEINE VOGEL-WUNDERKAMMER dank der Arbeitsdokumentation Jesko Donsts nachvollziehen können!
P.S.: Allen, die jetzt erst richtig auf den Geschmack gekommen sind und gern noch mehr über den Künstler Jesko Donst und seine Kunst erfahren möchten, sei ein aktuelles Fernsehportrait des NDR empfohlen: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/nordtour/Der-Porzellanmaler-,nordtour12326.html
Neulich begegnete mir auf Twitter ein Bild der Leda mit dem Schwan in einer Version des irischen Künstlers Dr. Robert Bohan. Die Bildsprache dieses Künstlers lebt von kräftig-leuchtenden Farbflächen, schematischer Reduktion der Figuren und zweidimensional-grafischer Ästhetik. Robert Bohan hat seinen Doktortitel in den Naturwissenschaften erworben und seine Interessenschwerpunkte wohl im Bereich der Botanik gefunden – dies scheint seinen Bildern anzusehen. Immer wieder schwanken seine Arbeiten zwischen naturwissenschaftlicher Akkuratesse und traumdeuterischer Seelenerkundung.
Leda mit dem Schwan ist ein bekanntes und oft gesehenes Motiv in der Kunstgeschichte und geht auf einen griechischen Mythos zurück. Auch ich zähle zwei Versionen dieses Motivs zu meinen Lieblingsbildern bzw. unter jene Bilder, die mir besonders im Gedächtnis haften geblieben sind. Es handelt sich dabei um ein Gemälde von Giampietrino nach Entwürfen von Leonardo da Vinci und ein Gemälde von Antonio Allegri (genannt Il Correggio). Dazu später mehr.
Die Leda mit dem Schwan von Robert Bohan ist ganz in blau gehalten und strahlt eine große Ruhe und liebevolle Zuwendung aus. Sie führte mir den Facettenreichtum des Motivs und den großen interpretatorischen Spielraum vor Augen, den ein Künstler bei der Behandlung dieses Themas hat. Robert Bohan zeigt Leda und Zeus in Gestalt des Schwanes als Liebespaar innig verschmolzen, zugewandt, zärtlich ohne dabei aber eigentlich geschlechtlich oder sexuell zu erscheinen.
Ganz anders die Darstellung Correggios, die heute in der Gemäldegalerie in Berlin bewundert werden kann. Diese Version ist (wie die allermeisten Versionen des Motives, die ich kenne) hoch erotisch. Leda und Schwan sind hier zwischen einer Gruppe Badender, Schwäne, dem musizierenden Eros und zwei Putten während des Geschlechtsaktes dargestellt. Das Bild war ursprünglich Teil eines Zyklus, der die erotischen Abenteuer Zeus zum Inhalt hatte und um 1530 von Federico II. Gonzaga, dem Herzog von Mantua in Auftrag gegeben worden war. Die Darstellung ist explizit und lässt keinen Spielraum für Interpretationen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert wurde sie deshalb einmal zerstört. Damals befand sich das Bild im Besitz des Herzogs Philippe von Orléans, dessen Sohn es in einem „Anfall religiösen Wahns“ zerschnitt.
Andere bekannte Darstellungen der Leda mit dem Schwan gehen auf (inzwischen verlorene) Vorbilder von Michelangelo Buonarroti und Leonardo da Vinci zurück. Zu diesen gehört auch das Bild von Giampietrino. Es ist wiederum ganz anders geartet als die beiden zuvor besprochenen Kunstwerke. Hier ist Zeus in Gestalt des Schwans gar nicht mehr dargestellt. Stattdessen lädt die Figur der Leda mit ihrem dem Betrachter zugewandten Blick und der offenen auf zwei Kinder weisenden Hand ein, den Nachwuchs aus der Begegnung mit dem Gott zu bestaunen. Insgesammt sind es, wie im Mythos beschrieben, vier Kinder, die aus Eiern geschlüpft sind. Die Schalen liegen noch auf dem Boden verteilt.
Ich persönlich mag dieses Bild, wie auch andere Darstellungen nach Leonardos Entwürfen, die neben Leda und den Kindern auch noch den Schwan beinhalten, sehr. Mir gefällt die unaufgeregte und friedvolle Zuneigung zwischen der Mutter und ihren Kindern. Mehr noch fasziniert mich aber die Überschreitung und Durchbrechung von Denkmustern und Sehgewohnheiten, welche die aus den Eiern schlüpfenden Kinder bedeuten. Dieses Detail ist ein Kuriosum, das – obwohl im Mythos beschrieben – nicht allzu oft dargestellt wird. Außerdem ist es noch etwas komplexer, denn Leda schlief in der fraglichen Nacht auch noch mit ihrem Gatten, dem König Tyndareos. Welche der vier entstandenen Kinder die Nachkommen Zeus sind und welche von Tyndareos stammen sowie ob sie nun alle aus Eiern geschlüpft oder eines geboren wurde, wird unterschiedlich angegeben. Eine zweifelsohne spannende Konstellation.
Literaturhinweise:
Michaelis, Rainer [Redaktion]: Gemäldegalerie Berlin. 200 Meisterwerke. Berlin 2010, bes. S. 374, 375.
Zöllner, Frank; Nathan, Johannes: Leonardo da Vinci. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen. Köln 2007, bes. S. 184-191.