SUSANNE HAUN | WERKSCHAU 2013 – 2020

SUSANNE HAUN | WERKSCHAU 2013 – 2020

Über den Tellerrand publiziert

Susanne Haun ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Sie ist klug, hochgebildet und vielseitig interessiert. Sie ist bewundernswert strukturiert, ausdauernd und sorgsam. Sie ist herzlich und empathisch. Sie gehört zu den Menschen, die hundert Fäden in der Hand halten und gleichzeitig verfolgen können, ohne sie je zu verknoten. Erstaunlich!

Dies ist meine persönliche, von jahrelangem Vertrauen und Sympathie geprägte Sicht auf den Menschen Susanne Haun. Es ist gleichzeitig auch ein Teil meiner professionellen Einschätzung der Künstlerin und ihres Œuvres. Mit Blick auf das Œuvre würde ich die Aufmerksamkeit ergänzend auf die oft wiederholte Dualität von gewichtigem, komplexem und manchmal schwerem Inhalt und leichter, als visuell besonders ansprechend und oft als schön empfundener Form lenken. Ich würde außerdem die Komplexität, Vielfalt und Größe dieses Œuvres betonen, denn die bloße Zahl der darin enthaltenen Werke, geschaffen in Jahren täglicher Arbeit, ist für sich schon beeindruckend.

Die Idee, aus diesem umfangreichen Fundus eine übersichtliche, handhabbare, für Laien und Kenner der Kunst Susanne Hauns gleichermaßen ansprechende Werksübersicht zu erstellen, erschien mir noch Anfang März 2020, als wir uns das letzte Mal persönlich trafen, vollkommen utopisch. Die Quadratur des Kreises! Und doch ist genau das entstanden. Ein umfangreicher, aber kurzweiliger Überblick über 7 Jahre kreatives Schaffen. Ein Potpourri unterschiedlichster Themenkomplexe von täglichen Selbstporträts der Künstlerin über zeichnerische Auseinandersetzungen mit Reiseeindrücken, kunst- und philosophiegeschichtlichen Fragen und aktuellem Zeitgeschehen, wie der neuen Lebensrealität mit dem Coronavirus Covid-19.

Die 52 Seiten starke Broschüre SUSANNE HAUN | WERKSCHAU 2013 – 2020 ist in einer limitierten Auflage von 250 Stück erschienen. Jedes Exemplar ist mit einer individuellen Nummer und der Signatur der Künstlerin versehen. Den Exemplaren mit den Nummern 1 – 10 ist außerdem eine Radierung beigegeben (mehr dazu unten). Begleitet werden die mehr als 80 (durchgängig farbigen) Abbildungen von Zeichnungen Susanne Hauns auf Papier, Leinwand, Glas und anderen Objekten von Statements der Künstlerin und kurzen Essays der Kunsthistorikerinnen Meike Lander, Cristina Wiedebusch und Nina A. Schuchardt. Unübersehbar wird deutlich, dass Susanne Haun um sich herum einen umfangreichen und vielschichtigen Kosmos errichtet hat, dem neben ihren haptisch erfahrbaren Arbeiten auch deren kontinuierliche Dokumentation und Einordnung auf ihrer virtuellen Präsenz, ihrem Blog, sowie der stetige Austausch mit den Betrachter*innen angehören.

Ein rascher Einblick in die Broschüre SUSANNE HAUN | WERKSCHAU 2013 – 2020.

Die Erstellung dieser WERKSCHAU war ein Kraftakt, an welchem wir ein großes Stück gewachsen sind und ich bedanke mich an dieser Stelle ausdrücklich bei allen, die an seiner Bewältigung beteiligt waren! Das Ergebnis erfüllt mich mit Stolz und Zufriedenheit, insbesondere da ich darin selbst noch so viel Neues über das Œuvre Susanne Hauns lernen durfte, nicht zuletzt in den Essays der Kolleginnen.

Inzwischen sind die ersten Exemplare der WERKSCHAU längst ausgeliefert und wir haben bereits viel Lob erhalten, was uns unglaublich freut und bestärkt. Wir haben auch manchmal gezielt nach Kritikpunkten gefragt und auch auf diesem Weg konstruktives Feedback erhalten. Vielen Dank dafür! Ein Kommentar, den wir so öfter gehört oder gelesen haben und der manchmal im Mantel der Kritik daher kommt, ist dieser: Die Broschüre ist viel zu günstig!

Ja, das stimmt. Der Preis der Broschüre ist gerade dazu geeignet, ihre Druck- und Versandkosten zu decken. Mehr nicht. Keine der an der Entstehung der Broschüre beteiligten Personen verdient wirklich daran, obwohl sie alle viel persönliche Zeit und Kompetenz investiert haben. Die Broschüre ist damit Teil eines größeren Dilemmas, in welchem Kunst- und Kulturschaffende viel zu oft unter- oder unbezahlt arbeiten, einfach, weil sie glauben, dass ihre Arbeit zu wichtig ist, für sie oder für andere, um sie des Geldes wegen nicht zu tun. Ein Thema, das einer ganz eigenen Betrachtung an anderer Stelle bedarf. Füttern wir dieses Problem, wenn wir eine Broschüre zu niedrig bepreisen? Vielleicht. Würden wir zur Lösung des Problems beitragen, wenn wir uns für einen höheren Preis entschieden hätten? Ich glaube nicht. Ich glaube nicht, dass es der richtige Weg ist, den Zugang zu Kunst und Kultur teurer zu machen, als er ohnehin schon ist, denn damit erreichten wir nichts als Ausgrenzung. Dabei ist gerade die erschwingliche Präsentation von Kunst eine der besonders großen Freuden an der Arbeit im Eichhörnchenverlag. Dies ist ein Aspekt, den ich gerade in Bezug auf die Bilderbücher LANDTIERE von Susanne Haun und Gerd Knappe und KLEINE VOGEL-WUNDERKAMMER von Jesko Donst besonders oft erlebe. Mehr als einmal habe ich von Kund*innen gehört, die unsere Bücher gerade deshalb so glücklich machten, weil sie sich ein oder gar mehrere Originale der Künstler*innen eben nicht leisten könnten. Darin liegt der immense Wert unserer Arbeit, nicht in ihrem Preis.

Dies nun von der Seele geschrieben bleibt zu sagen, dass wir alle natürlich mit jedem neuen Buch hoffen, irgendwann einmal eine nennenswerte Summe mit unserer Arbeit zu verdienen. Wenn ihr also ein Produkt aus dem Eichhörnchenverlag erworben habt und zufrieden damit seid, dann empfehlt uns doch euren Freunden und Lieblingsbuchhändler*innen weiter, die hier direkt einen Blick in unser Verlagsprogramm werfen können und abonniert unseren Newsletter. Wer es sich leisten kann, kann auch gern das ein oder andere Bilderbuch extra zum Verschenken oder ein paar Postkarten dazu bestellen. Irgendwann rechnet es sich dann nämlich auch. 😉

Bewunderern von Susanne Hauns Kunst im Besonderen sei empfohlen, eine der Nummer 1 – 10 der WERKSCHAU zu erwerben. Diesen Nummern ist eine originale Radierung beigegeben und sie kosten entsprechend 120,00 €. Diese speziellen Nr. 1 – 10 können nur bei der Künstlerin Susanne Haun direkt erworben werden. Sie ist über ihre Website oder via info@susannehaun.de erreichbar.

Beitragsautorin: Nina A. Schuchardt

Kurz vor Weihnachten machen wir mit dem heutigen Blogeintrag mal wieder einen Exkurs in die Kunstgeschichte und beleuchten eine besondere Mutter-Kind-Beziehung und die stillende Maria als Thema der Kunst.

Stillen ist für viele Menschen die erste Erfahrung von Nahrung, Intimität und liebevoller Beziehung. In der christlichen Ikonographie ist das Stillen in Gestalt der »Maria lactans« durch zahllose Andachts- und Gnadenbilder seit dem frühen Mittelalter bekannt. Hier wird die Brustweisung Mariens als klassisches Symbol ihrer Barmherzigkeit verstanden. (1) Das Motiv der Maria mit der unbefangen entblößten Brust mag manche durch seine Freizügigkeit überraschen, es findet sich aber quer durch die Kunst- und auch Religionsgeschichte. (2) Dürer, Cranach, Hans Baldung Grien, Jan van Eyck, Picasso, Gauguin oder Chagall – alle malten sie. Bis ins Heute hinein reichen die Darstellungsformen wie auch das Sinnbild von Correggios Madonna del Latte von Susanne Haun (Titelbild dieses Beitrags) zeigt. Auch in der Bildhauerei war die Maria ein beliebtes Motiv. Im Barock entstanden an Wallfahrtsorten Brunnen mit Marienfiguren, aus deren Brüsten das heilkräftige Wasser sprudelt, dem übernatürliche Kräfte zugesprochen wurden. So etwa Brunnen in Passau-Mariahilf oder in Rengersbrunn im Spessart – dort nennt man das klare Wasser auch „Liebfrauenmilch“. (3)

Die Idee von der göttlichen Milch in der christlichen Ikonografie geht zurück auf das alte Ägypten und das Motiv der Göttin Isis, die den Horusknaben stillt. Durch ihre Milch nimmt Horus göttliche Kräfte auf. (4) Zahllos sind die Darstellungen der Isis, die ihren Sohn auf dem Schoß hält, mit der linken Hand seinen Kopf stützend, mit der rechten ihm die Brust reichend. Häufig ließen sich Pharaonen selbst an Stelle von Horus abbilden, um an seiner statt an der göttlichen Brust zu trinken und so ihre irdische Macht göttlich zu legitimieren. Die göttliche Milch der Isis mache angeblich aus den Menschen Gottesmenschen. (5) Einen regelrechten Boom erlebte das Motiv im Mittelalter und Maria lactans, die stillende Gottesmutter, wurde zu einem eigenen Genre. (4)

Albrecht Dürer malte Maria und ihren Sohn in besonders liebevoller Weise mit seiner „Maria das Kind stillend“ von 1503. Maria hat auf dem Bild ihre Brust entblößt, der Sohn nuckelt friedlich daran, während er mit der linken Hand an der Kleidung der Mutter herumnestelt. Maria beugt ihr Haupt und lächelt, Dürer zeigt sie mit geöffnetem Mund und Zähnen, auch wenn sich das für die Zeit eigentlich nicht ziemt. Diese Darstellung verstärkt den Eindruck von einer einfachen Frau, die blondgelockt und mit leichtem Doppelkinn keine reine Schönheit ist. Dabei ist die Intimität des Christuskindes mit seiner Mutter auf Dürers Bild dieselbe, die der Betrachter selbst erfahren kann, wenn er die kleine Lindenholztafel betrachtet. Sie ist kleiner als ein DIN-A4-Blatt und man muss ihr ganz nah kommen, um alle Details sehen zu können. Ursprünglich konnte es gedreht werden. Auf der Rückseite ist eine Passage eines Marienhymnus zu lesen, die übersetzt lautet: „Nur die Jungfrau stillte mit ihrer vom Himmel her gefüllten Brust“. (6)

Im Spannungsfeld zwischen Göttlichkeit und Erotik, konkreter und mystischer Figur lebt die berühmte „Madonna von Melun“ des französischen Hofmalers Jean Fouquet, auch „Madonna Sorel“ genannt. Wahrscheinlich verbirgt sich hinter der blassen Gottesmutter die Geliebte Karls VII., Agnès Sorel. Dem hier eher desinteressiert wirkenden Christusknaben bietet sie ihre pralle Brust dar, von Intimität auf diesem Bild keine Spur. Das Gemälde wirkt mehr wie ein Standesporträt, auf dem die Frau ihre körperlichen Vorzüge präsentiert denn wie ein Andachtsbild. Andere Darstellungen zeigen sie bei Jean-Laurent Mosnier als Rokoko-Dame, bei Gauguin als tahitianische Naturschönheit, bei Paula Modersohn-Becker als Frau vom Land, die in ihrer vollkommenen Nacktheit wieder zur Urmutter wird. (4) Ein sehr modern erscheinendes, eigentlich aber barockes Mutterbild ist die Madonna von Theodor van Thuldens: Diese wendet sich nicht dem Kind zu, sondern einem Buch. (7)

Neuere Darstellungen gibt es von Picasso, Gauguin, Chagall, Armin Horovitz oder Michael Fuchs. Auch Susanne Haun als Künstlerin des Eichhörnchenverlages hat sich dem Sujet angenommen und eine Interpretation der Madonna del Latte von Correggio gezeichnet, die auch in der in Kürze erscheinenden Broschüre SUSANNE HAUN |WERKSCHAU 2013-2020 zu bestaunen ist. (8)

Neben der Intimität des Stillens, der engen Verbindung von Mutter und Kind, kommt den Mariendarstellungen noch eine andere Bedeutung zu. Denn Maria ist zugleich himmlische Mutter und irdische Ernährerin. Das Stillen symbolisiert somit auch, dass ihr Sohn ganz Mensch ist – und damit abhängig von Menschenmilch. Das hilflose, auf den Leib Mariens angewiesene Kind ist der menschgewordene Gott. (5)  

In der Antike war es noch vonnöten gewesen, die Göttlichkeit des Menschen Jesus von Nazareth festzuschreiben. Maria kam dabei die Rolle der „Gottesgebärerin“ zu. Diese Sichtweise war bis ins späte Mittelalter hinein selbstverständlich. Neuen Frömmigkeitsbewegungen ab dem 14. Jahrhundert erschien es nun sinnvoll, die andere Seite hervorzuheben. Christi Menschlichkeit wurde wiederentdeckt, um einen unmittelbareren Bezug zu Gott zu finden. Deshalb gewannen Bilder der stillenden Maria an Bedeutung, die nun die enge Beziehung Jesu zu seiner Mutter hervorhoben. (6) Sie zeigen auch die besondere Innigkeit, die in der Beziehung zwischen Mutter und Kind entstehen kann.

Beitragsautorin: Katharina Schulze

Wir gehen in die Winterpause und sind im Januar wieder mit frischen Ideen, spannenden Blogartikeln und bunten Posts für euch da. Eure Bestellungen packen und versenden wir natürlich weiterhin umgehend, damit euch der Bilderbuchstoff auch im Lockdown nicht ausgeht!

Der Eichhörnchenverlag wünscht euch allen eine frohe Weihnachtszeit. Macht es euch trotz der aktuellen Lage schön und startet gut ins neue Jahr!

PS: Unsere Neuerscheinungen warten nur darauf, euch die Zeit zu Hause zu versüßen.

(c) Titelbild: Susanne Haun: EIGENE INTERPRETATION DER MADONNA DEL LATTE NACH CORREGIO | 2019 | 50 x 65 | Tusche auf Büttenpapier | Zeichnung | WZ–Nr. 2019.11.19.0001.

Quellen

(1) Gras, Claudia: Maria lactans Die Stillende in der Kunst, unter: https://www.altertuemliches.at/termine/ausstellung/maria-lactans-die-stillende-der-kunst (letzter Aufruf: 17.12.2020 )

(2) Wiener Dommuseum: Sonderschau über “Maria lactans”, 12. November 2009, unter: http://www.kath.net/news/24527 (letzter Aufruf:17.12.2020 )

(3) Feldmann, Christian: Sehnsucht nach dem zärtlichen Gott, 11.01.2019, Unter: https://www.dw.com/de/sehnsucht-nach-dem-z%C3%A4rtlichen-gott/a-47047069 (letzter Aufruf: 17.12.2020 )

(4) Kuhn, Nicola: Stillende Frauen in der Kunst: Öffentliches Stillen: erlaubt in Kirchen und Museen, 28.02.2016, unter: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/stillende-frauen-in-der-kunst-oeffentliches-stillen-erlaubt-in-kirchen-und-museen/13022796.html  (letzter Aufruf: 17.12.2020 )

(5) Danzer, Claudia: Marias Milch – ein unwichtiges, aber witziges Thema der Theologie, 30. April 2018, unter: https://y-nachten.de/2018/04/marias-milch-ein-unwichtiges-witziges-thema-der-theologie/ (letzter Aufruf: 17.12.2020 )

(6) Pollmer-Schmidt, Almut: Bild des Monats: „Maria das Kind stillend“ von Albrecht Dürer, 22.12.2013, unter: https://blog.staedelmuseum.de/bild-des-monats-maria-das-kind-stillend-von-albrecht-durer/ (letzter Aufruf: 17.12.2020 )

(7) Kunst und Kultur: Die Milch der höchsten Mutter. “Maria lactans” als Thema des Wiener Dommuseums, 23. Dezember 2009, unter: https://www.derstandard.at/story/1259282621343/die-milch-der-hoechsten-mutter (letzter Aufruf: 17.12.2020)

(8) Haun, Susanne: Mein Sinnbild von Correggios Madonna del Latte – Zeichnung von Susanne Haun, 14.September 2020, unter: https://susannehaun.com/2020/09/14/mein-sinnbild-von-correggios-madonna-del-latte-zeichnung-von-susanne-haun/ (letzter Aufruf: 17.12.2020)

Nachdem der von der Pandemie erzwungene Rhythmenwechsel unsere diesjährige Novität abseits des Pappebuchs SUSANNE HAUN | Werkschau 2013 – 2020 gleichermaßen ermöglicht, wie auch erschwert und verzögert hat, steht sie nun ganz kurz davor, endlich in den Druck zu gehen, damit ihr sie an Weihnachten in den Händen halten könnt! Wir nehmen das zum Anlass, euch hier schon einmal einen kleinen Einblick zu gewähren. Es ist eine persönlich-philosophische Diskussion von Kunstwerten und ihren Abhängigkeiten im Allgemeinen und auch ein Blick in die Gründungsgeschichte des Eichhörnchenverlags und ich freue mich sehr, dass dieses Thema in der Werkschau Platz gefunden hat! Es ist im Übrigen aber auch die einzige Stelle, an welcher die Verbindung der Künstlerin Susanne Haun mit dem Eichhörnchenverlag besonders beleuchtet wird, denn diese vielseitige Künstlerin hat noch so viel mehr zu bieten! Einen weiteren Einblick in die Werkschau könnt ihr hier gewinnen.


Die LANDTIERE – Kunst in Büchern für Babys

von Nina A. Schuchardt

Was ist ein gutes Kunstwerk?

Ich glaube, eine Teil der Antwort auf diese Frage lautet: Ein gutes Kunstwerk ist eines, das Interesse weckt. Ein wertvolles Kunstwerk ist eines, das Bedeutung entfaltet und zwar entweder in einem größeren kulturellen oder gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang, innerhalb einer bestimmten Personengruppe oder in einem individuell persönlichen Rahmen.

Jede Person hat nach dieser Grundannahme die Möglichkeit einem Kunstwerk Qualität und Wert beizumessen oder abzusprechen, ohne dass sich daraus ein allgemeingültiges Urteil ableiten ließe.

Kunstbetrachtung ist ein fluider Prozess und wird nach meiner persönlichen Überzeugung niemals zu einem unumstößlichen Schluss führen. Höchstens in – an der Zahl existierender Kunstwerke bemessen – ganz wenigen Fällen zu einer, über längere Zeit und weiten Raum geltenden, Urteilseinigkeit.

Die Beurteilung eines Kunstwerks ist also stets von seinem konkreten Betrachtungszusammenhang abhängig. Das bedeutet auch, dass die Beurteilung von Bilderbüchern in all ihren Teilen allen Leser*innen und Betrachter*innen gleichermaßen zusteht. In diesem Fall zweier sehr unterschiedlichen Personengruppen, nämlich Babys und kleiner Kinder sowie deren erwachsenen Bezugspersonen mit unterschiedlichen Bedürfnissen.

Wir wissen, dass Babys und Kleinkinder bestimmte visuelle Reize ansprechend finden. Dazu gehören kräftige, klare Farben, deutlich erfass- und erfahrbare Strukturen, Formen und Figuren, an denen die Umwelterfahrung und Begriffe geübt werden können.

Erwachsene Menschen bringen ein anderes Set an Erwartungen und Kriterien in die Betrachtung mit ein, z. B. den Wunsch nach der Sichtbarkeit handwerklichen Könnens und nach Bedeutungszusammenhängen auf verschiedenen (Meta-)Ebenen, die wir mit unseren gewachsenen Erfahrungs- und Wissenshorizonten verknüpfen und entschlüsseln können. Dies soll heißen, ein Werk wird dann als gut empfunden, wenn wir es als interessant und lohnend empfinden, uns emotional oder intellektuell eingehend damit zu beschäftigen.

Eine weitere Besonderheit der kindlichen Bild- und Buchbetrachtung ist der dringende Wunsch nach Wiederholung. Das Lieblingsbuch eines einjährigen Kindes schauen seine Bezugspersonen womöglich über Wochen jeden Tag mehrmals mit dem Kind an. Bei jedem dieser Betrachtungsvorgänge wird das Kind wieder mit Interesse und Begeisterung dabei sein und bei jeder dieser Gelegenheiten wird es sich wünschen, diese Emotionalität auch bei seiner Bezugsperson gespiegelt und begleitet zu finden. Diesen Wunsch zu bedienen ist eine große Herausforderung für den Menschen und auch für das Werk.

Es gehört zu den bemerkenswerten Qualitäten und Alleinstellungsmerkmalen der Bilder Susanne Hauns, dass sie es schaffen, solch unterschiedliche Betrachter*innengruppen für sich zu gewinnen. So ist es möglich, dass eine erwachsene und in der Kunstbetrachtung erfahrene Person und ein Kleinkind gemeinsam in eine Ausstellung Hauns gehen und beide auf unterschiedliche Weise bewegt und beschäftigt sind!

In der Folge dieser Beobachtung war es eine logische Entscheidung des Eichhörnchenverlags die Künstlerin Susanne Haun um ihre Mitarbeit am ersten Bilderbuch des Verlags mit dem Titel LANDTIERE zu bitten. Die so explizit für ein Bilderbuch entstandene Bilderserie LANDTIERE, bringt die dem ganzen Werk Hauns inhärente Eigenschaft der Vielzahl verschiedenster Anknüpfungspunkte für unterschiedlichste Betrachtungswinkel auf den Punkt.

Beitragsautorin: Nina A. Schuchardt

Abseits geplanter Wege zu gehen erfordert Mut und ist gleichzeitig wahnsinnig spannend. Man kann stolpern, aber selbst wenn, wird man auf jeden Fall neues entdecken und daran wachsen. In diesem Sinne wagen wir im Eichhörnchenverlag in diesem Herbst verlegerisches Neuland zu betreten, abseits des Pappebilderbuchs, aber immer noch im Bereich unserer allergrößten Liebe und Leidenschaft; der Kunst!

Wir haben uns entschlossen, euch in diesem Herbst mit noch einer dritten Neuerscheinung neben KLEINER LÖWE WILLIAM und WINDKIND zu überraschen. Es ist eine Selbstpräsentation und gleichzeitig ein Überblick über 7 Jahre intensives und bewegtes Schaffen der Künstlerin Susanne Haun. Unter dem Titel SUSANNE HAUN | WERKSCHAU 2013 – 2020 versammeln sich auf ca. 52 Seiten zahlreiche Schlüsselwerke und zeichnend-philosophierende Ideenstränge sowie Artist Statements und Kommentare zu einzelnen Werken von der Künstlerin selbst. Begleitet und eingeordnet werden manche Werke im Besonderen und manche besondere stilistische Eigenheit der Künstlerin in Texten der Kunsthistorikerinnen Meike Lander, Cristina Wiedebusch und Nina A. Schuchardt. Das Lektorat der Werkschau übernahm Birgit Böllinger von www.saetzeundschaetze.com und für die grafische Gestaltung, Satz und Layout danken wir Antje Rother!

Neugierig geworden? Dann kommt hier ein kleiner Vorabeinblick für euch, ausgewählt nach aktuellem Anlass:

“Der aktuelle Bezug des Bildes „Der geflügelte Löwe“ zur Covid-19-Pandemie ist offenkundig und ein starkes Moment sowie ein bewegendes Thema.
Der Löwe, der gern als ein Bild für Stärke, Mut und Kampfgeist verwendet wird, kann hier auch als Symbol für den Menschen im Sinne des individuellen Selbst, aber auch im Sinne von Gesellschaft und Kultur verstanden werden. Als quasi antipodische Natur ist Covid-19 mit dem Löwen in Kontakt.
Die eigentlich vollkommen normale evolutionäre Entwicklung eines Virus, um deren Möglichkeit wir im Grunde wissen, hat uns doch in den vergangenen Wochen und Monaten so schnell, so beängstigend unsere Machtlosigkeit als Rädchen im Getriebe der Ökologie vorführt. Der kraftvolle Sprung des „mutigen Löwen“, der aber doch vielleicht wirkungslos bleiben muss, auf das unscheinbare, beinahe passive Virus, um dessen gewaltige Macht die Betrachter*innen doch wissen, erzeugt eine große Spannung im Bild. Man mag an Goethes Zauberlehrling denken: Die Art, in der wir Wissen besitzen, aber dieses dennoch vielleicht nicht umfassend genug anwenden oder eben noch nicht in seiner Gänze durchdrungen haben und uns dann wundern, wenn die Konsequenzen uns aus der Hand gleiten, ist hervorragend dargestellt.”

Nina Alice Schuchardt, Verlegerin und Kunsthistorikerin

Der geflügelte Löwe, 2020, 65 x 50 cm, Tusche auf Aquarellkarton, Zeichnung (c) von Susanne Haun.

Was macht man nun aber eigentlich als Pappebilderbuchverlag, der ein bisschen vom Pfad der Tugend abgewichen ist und nun ein Wenig in fremden Abenteuern spielt? 😉 Man überlegt ein Imprint einzurichten für genau diese Projekte, die sich plötzlich am Wegesrand reizvoll schillernd präsentieren und die nicht erwartet wurden und trotzdem herzlich willkommen sind! Namensvorschläge für dieses Imprint nehmen wir gern entgegen! 🙂

SUSANNE HAUN | WERKSCHAU 2013 – 2020 ist ab sofort vorbestellbar. Hier in unserem Shop und überall, wo es Bücher gibt.